Im Jahr 2014 entschied sich PROJECT-E dazu, ein eigenes Projekt in Äthiopien auf die Beine zu stellen: eine Berufsschule, die Frauen auf ihre Arbeit im Hotelbereich vorbereiten sollte. Mehr als ein Jahr später hat das Projekt endlich zu Erfolg geführt. PROJECT-Es eigenes Hospitality Institute (PEHI) war aufgebaut und die ersten Studentinnen, die jemals das Institut besucht haben, hatten ihre ersten Unterrichtsstunden. Allerdings brachte der Weg, auf dem die ursprüngliche Idee in die Wirklichkeit umgesetzt wurde, einige größere Schwierigkeiten mit sich, die teilweise unüberwindbar schienen. Abgesehen von den offensichtlichen logistischen Herausforderungen waren es die staatlichen legislativen Beschränkungen und die lähmende Bürokratie, die die Arbeit der Country Representative und der Freiwilligen vor Ort nahezu unmöglich machten. Tatsächlich hat es rund sechs Monate gedauert, die richtigen Regierungsbeamten zur Unterschrift der nötigen Papiere zu finden, die offiziellen Stempel zur Genehmigung des Projektes zu bekommen und schließlich die staatliche Anerkennung zu erhalten. Hinzu kam, dass das Personal stets Fristen für Berichte, die Akkreditierung und die Erneuerung der NGO-Lizenz seitens der lokalen Behörden auferlegt bekam. Es schien fast, als hätten die Behörden weniger Interesse an unserer Arbeit als daran, dass wir alle rechtlichen und bürokratischen Kriterien erfüllten.
PROJECT-E war nicht die einzige NGO, die solchen Schwierigkeiten begegnet ist. Im vergangenen Jahrzehnt hatten alle in Äthiopien aktiven zivilgesellschaftlichen Organisationen (CSOs) mit staatlichen Restriktionen zu kämpfen, viele von ihnen waren gezwungen, ihre Arbeit vollständig niederzulegen. Die Situation hat im Jahr 2009 eine bedeutende negative Wendung genommen, als der damalige äthiopische Präsident Meles Zenawi ein neues Gesetz zur Regulierung der im Land aktiven CSOs erließ. Das Gesetz schränkte Geldbeschaffungsaktivitäten und den Betrieb stark ein, hat viele CSOs als illegal eingestuft, stellte strengere Anforderungen für die Registrierung (CSOs und Wohltätigkeitsorganisationen wurden beispielsweise dazu verpflichtet, ein Empfehlungsschreiben des Außenministeriums einzureichen) und gründete die Charities and Societies Agency (CSA). Letztere ist eine Regierungsbehörde, die über weitreichende Befugnisse verfügte, um die Registrierung der NGOs zu verweigern (die Befugnisse nutzte sie Berichten zufolge recht willkürlich) und von ihnen zahlreiche Informationen anzufordern. So konnten alle im Land tätigen zivilgesellschaftlichen Organisationen staatlich überwacht werden. Als Folge dessen sank die Zahl der in Äthiopien registrierten CSOs von 3822 im Jahr 2009 auf 1500 im Jahr 2013.
Kritische Stimmen sahen das Gesetz als direkten Angriff auf die Zivilgesellschaft an, als weiteren Schritt auf dem bereits eingeschlagenen Weg in Richtung politischer Unterdrückung und als Ablehnung fundamentaler Rechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Andererseits erklärte die Regierung, dass das Gesetz der Sicherung besserer finanzieller Transparenz auf Seiten der CSOs diene und verwies auf die Beziehung Äthiopiens mit der Zivilgesellschaft in der Vergangenheit als Grund des Erlasses. Tatsächlich ist Äthiopiens Geschichte aufgrund wiederkehrender politischer Unruhen und katastrophaler Hungersnöte (die das Land bis Anfang der 2000er heimsuchten) seit den 1970ern untrennbar mit NGOs und ausländischen Hilfsorganisationen verbunden. Diese waren ausschlaggebend bei der Beschaffung von Geldern, der Verwaltung von Hilfsleistungen und der Organisation von Hilfsprojekten, bei der Rettung von Leben und der Bekämpfung der Hungersnöte. Dabei entstand jedoch ein wachsendes Machtgefälle, da die zivilgesellschaftlichen Organisationen häufig Zugang zu größeren Budgets hatten als die Regierungsbehörden und auch über diese verfügen konnten. Wegen ihrer wachsenden Macht und des größer werdenden Einflusses, blieben NGOs häufig unkontrolliert, was in einigen Fällen dazu führte, dass CSOs eigennützig und ineffizient arbeiteten, wenngleich sie viel Geld verdienten. Einige NGOs, vor allem in der Live Aid-Ära der 1980er, hatten einen enormen Einfluss auf und waren bekannt bei Spender*innen und Medien. Gepaart mit den kontinuierlichen Bemühungen um Spendengelder bedeutete dies die durchweg einseitige Darstellung Äthiopiens als ein völlig hilfloses, verzweifeltes Land, das von der westlichen Welt gerettet werden musste.
Worin auch immer die Beweggründe für das 2009 erlassene Gesetz liegen mögen, es hat die Arbeit der NGOs in Äthiopien über ein Jahrzehnt lang erschwert. Am 12. März 2019 verabschiedete jedoch die Regierung des Premierministers Abiy Ahmed ein liberaleres Gesetz, die „Bekanntmachung der Organisation von CSOs”. Es wird angesichts der Tatsache, dass es den NGOs mehr Spielraum bei Aktivitäten und der Beschaffung von Finanzmitteln aus dem Ausland gewährt, als weniger restriktiv erachtet als sein Vorgänger. Obwohl die Registrierung nach wie vor obligatorisch ist und die CSA nicht aufgelöst wird, sind ihre Macht und ihr Einfluss beschnitten worden. Dieses Gesetz ebnet möglicherweise den Weg für eine kooperativere Beziehung zwischen der äthiopischen Regierung und ihren Partnern in der Zivilgesellschaft.