Für Artikel Nummer drei unseres Jubiläums-Countdown haben wir eine weitere PROJECT-E-Alumna nach ihren Erfahrungen im Rahmen der Entwicklung des PROJECT-E Hospitality Institute (PEHI) gefragt. Julia Schubert war zuerst als Forschungsfreiwillige in Addis Abeba, bevor sie später lange im Vorstand PROJECT-Es in Europa aktiv war. Im Interview erzählt sie, welche entscheidende Rolle ihre Forschungsarbeit gespielt hat und welche Erlebnisse dabei besonders prägend waren.
- Allgemeine Idee der Eröffnung des Instituts
Wo und wann kam die Idee, das PEHI zu eröffnen, zum ersten Mal auf? Wer hat das Projekt initiiert?
Die Situation war damals so, dass das College, das wir für Sekretärinnen hatten, an Selam übergeben werden sollte. Die Übergabe an Selam, unsere damalige lokale Partnerorganisation, stand 2014 kurz bevor. PROJECT-E wollte natürlich sein Engagement in Äthiopien nicht aufgeben, nicht zuletzt, weil es auch viel Arbeit gekostet hatte, PROJECT-E dort aufzubauen. Deshalb wurde die Stelle eines Research Volunteers ausgeschrieben, der herausfinden sollte, wie ein neues, zweites Projekt aussehen könnte. Dieser Research Volunteer war ich. Ich bin für vier Monate nach Addis, habe in drei Phasen Interviews geführt und Marktforschung bezüglich der Frage betrieben, in welchem Bereich ein neues Projekt initiiert werden könnte. Nach jeder Phase, die jeweils immer vier, fünf Wochen lang ging, wurden Calls mit dem sogenannten Future Committee gemacht. Das waren Leute aus jeder Abteilung des Team International, die Country Representative und ich und es wurde gemeinsam diskutiert, wie es weitergehen soll.
Kannst Du Dich an den Kontext der Idee erinnern?
Ich habe die drei Phasen schon angesprochen. In der ersten Phase ging es erstmal darum, zu verstehen, wie die makroökonomische Situation in Äthiopien ist – welche Wirtschaftsbereiche potenziell eher wachsen und welche nicht so zukunftsträchtig sind – und darum, zu verstehen, welche Aktivitäten es im Entwicklungssektor in Äthiopien bereits gibt. Wir kannten uns damals im Bereich der Sekretärinnen-Ausbildung aus, aber den restlichen Markt kannten wir nicht so gut. Ich habe mit Botschaften gesprochen, mit NGOs, mit Beratungen, mit sonstigen Organisationen und auch mit Geschäftsleuten aus der freien Wirtschaft. Dann kam die zweite Phase und da haben wir uns einige dieser Bereiche rausgegriffen, genauer angeschaut und nach sogenannten Best Practice Beispielen gesucht. Bei allen Bereichen haben wir geschaut, was besonders gut oder schlecht läuft. Im Bereich der Bildung für Frauen haben wir festgestellt, dass die Abbruchrate relativ hoch war und dass es zwar viele Shortterm Trainings gab, die Frauen später aber oft keinen Job bekommen haben, von dem sie wirklich leben konnten. In dieser zweiten Phase ist mir zum ersten Mal die Idee eines Hotel Colleges begegnet. Ich habe in der zweiten Phase hauptsächlich mit anderen NGOs gesprochen und da gab es eine NGO, die schon ein Hotel College hatte und uns eine Kooperation angeboten hat.
Wie wurde die Idee spezifiziert?
Die Optionen, die in der Phase zwei aufgekommen sind, haben wir in einer dritten Phase weiter konkretisiert. Kurz nachdem ich aus Addis zurückgekehrt bin, gab es ein Strategiewochenende in Berlin, wo ich die verschiedenen Ideen vorgestellt habe. Wir haben Workshops zu verschiedenen Möglichkeiten gemacht und uns schließlich für die Idee der Hotelschule entschieden. Dann ging es erst richtig los. Wir wussten, dass es einen wachsenden Markt für Hotellerie und einen großen Personalbedarf gibt und dass wir mit dem Betreiben eines Colleges Erfahrung haben. Nach der Entscheidung haben wir erstmal einen internen Projektplan gemacht, also die Grundfragen nochmal adressiert: Wie lang soll das Projekt sein? Wo soll es sein? Soll es in Addis bleiben oder wollen wir in andere Regionen gehen? Wollen wir den Studentinnen weiterhin Unterkünfte und soziale Betreuung zur Verfügung stellen? Woher bekommen wir Lehrkräfte? Wie machen wir das langfristig mit der finanziellen Nachhaltigkeit? Wie organisieren wir die Rekrutierung der Studentinnen? Dann mussten wir ein offizielles Project Proposal bei der Charities and Societies Agency (CSA) einreichen und hoffen, dass sie unser Projekt akzeptieren.
Was waren die Erwartungen, gab es auch Zweifel?
Es gab keinen Masterplan, wir konnten nicht sagen, dass es so und so geplant ist und deshalb auch so und so gemacht wird. Auf dem Weg gab es teilweise sehr gravierende und große Entscheidungen, auf die wir anfangs keine Antwort wussten oder mit denen wir selbst zu Beginn noch gar nicht gerechnet hatten. Dadurch, dass wir das Proposal einreichen mussten, gab es aber schon einen groben Rahmen, von dem wir nicht mehr wesentlich abgewichen sind und auch nicht mehr abweichen konnten. Ich habe mich mit dem Projekt entwickelt und so haben sich auch meine Erwartungen immer wieder angepasst. Je länger ich dabei war, desto höhere Erwartungen hatte ich auch an das Projekt. Phasen, in denen man daran gezweifelt hat, ob das alles hinhaut, gab es natürlich auch. Für mich galt das beim Thema Location für die neue Hotelschule und teilweise auch bzgl. der langfristigen Finanzierung.
- Konkrete Verwirklichung der Idee
Welche Schritte musstet Ihr machen, um das Projekt schlussendlich zu verwirklichen?
Anfang 2015 haben wir uns um die Suche eines Hauses für unsere Schule gekümmert und nach Lehrkräften gesucht. Wir haben noch nicht direkt alle Lehrkräfte eingestellt, aber wir brauchten ein paar, um für die Schule ein Curriculum zu entwickeln. Der nächste Schritt war die TVET (Technical and Vocational Education Training) Akkreditierung, die wir für das Projekt brauchten. Im Oktober 2015 ging es los. Das ging, im Nachhinein betrachtet, alles echt schnell. Livia Röthlisberger, die damalige Country Representative, hat natürlich den Großteil der Aufgaben vor Ort übernommen bzw. koordiniert und sich bedingungslos und mit sehr viel Leidenschaft eingesetzt.
Wie hat das logistisch funktioniert, wer hat was organisiert und mit welchen Partnern habt Ihr vor Ort zusammengearbeitet?
Von selbst lief es nie, aber im Gegensatz zum Team in Addis hatte das Team International es meistens leichter. Das Team in Addis ist natürlich das wichtigste und hat den größten Anteil daran, dass das PEHI ist, was es heute ist. Die Gruppe vor Ort war richtig gut, ohne dieses Team hätte das niemals funktioniert. Die Kommunikation und die Zusammenarbeit mit den Behörden waren teilweise wirklich eine Herausforderung. Aber auch das hat das Team in Addis gemeistert. Davor ziehe ich noch heute meinen Hut.
Wie wurde die Finanzierung organisiert? Wie habt Ihr Spenden und Einnahmen generiert?
Wir saßen auf keinem besonders großen Geldpolster. Wir mussten auf die Hauptsponsoren, die schon im Sekretärinnen-College involviert waren, zugehen und anfragen, ob sie auch bereit wären, uns für ein neues Projekt zu unterstützen. Wir wussten, dass sie grundsätzlich nicht abgeneigt waren, aber im Zweifelsfall konnten sie Anträge immer noch ablehnen, auch wenn sie vorher gesagt hatten, dass sie weiter dabei sind. Das hat dazu geführt, dass wir auch neue Fundraising Kanäle aufgemacht und uns z.B, Unternehmenskooperationen als mögliche Geldquellen angeschaut haben.
- Persönliche professionelle Aspekte
Wofür warst Du verantwortlich?
Am Anfang als Freiwillige war ich verantwortlich für die Marktforschung vor Ort in Addis. Als ich aus Addis wiedergekommen bin, habe ich das Research Department als Head of Research übernommen und bin dann relativ schnell ins Junior Management Board und Management Board hineingewachsen. Ich habe den Aufbau des PEHI also aus vielen verschiedenen Perspektiven mit begleitet. Als ich im Management Board war, stand vor allem das Thema Fundraising ganz oben auf dem Zettel.
Welche Aufgabe war für Dich die härteste?
Man trägt sehr viel Verantwortung. Nicht zuletzt für das Team in Addis und natürlich auch für die Schülerinnen. Das ist eine ganz persönliche Herausforderung, an der man als junger Mensch wächst.
- Persönliche emotionale Aspekte
Hat die Verwirklichung des Projektes Deine Erwartungen erfüllt?
Ich würde schon sagen, dass meine Erwartungen erfüllt wurden. Es ging uns zu keinem Zeitpunkt darum, tausende Mädchen in den Job zu bringen. Wir haben immer gesagt, dass wir das, was wir machen, mit hoher Qualität machen wollen und wenn unser Geld oder unsere Kapazität für „nur” 20 oder 30 Frauen im Jahr reichen, dann ist das eben so, aber dann haben wir wenigstens diesen Studentinnen eine sinnvolle Perspektive gegeben. Deswegen waren die Erwartungen glaube ich nie so hoch, dass wir sie nicht hätten erfüllen können.
Wurde die Eröffnung gefeiert? Hattet Ihr dafür Zeit oder musste die Arbeit einfach fortgeführt werden?
Vor der offiziellen Eröffnung gab es noch super viel zu tun. In Addis ja sowieso, aber auch in Europa. Also war es vorher schon sehr stressig. Tatsächlich glaube ich, dass wir die vielen kleinen Schritte, die wir bis zur Eröffnung immer wieder gemacht haben, auch mehr oder weniger gefeiert oder uns zumindest schon sehr gefreut haben, sowohl in Addis als auch in Europa. Das war unsere Art des Feierns, z.B. als wir die Genehmigung von der CSA bekommen oder wieder eine neue vielversprechende Lehrkraft einstellen konnten.
- Fünf Jahre PEHI
Das PEHI feiert dieses Jahr sein fünfjähriges Jubiläum. Wir unterstützen jährlich 90 Frauen. Wir konnten ein zweites Trainingsprogramm neben dem Langzeittraining etablieren. Der dritte Jahrgang Kurzzeit- und der dritte Jahrgang Langzeitstudentinnen haben vor kurzem ihren Abschluss gemacht. Was fühlst Du beim Gedanken daran?
Ich bin so dankbar, dass ich vom ersten Gedankengang bis zur Graduierung der ersten Studentinnen live dabei sein durfte. 2016 war ich nochmal in Addis und bei der Einschulung des zweiten Jahrgangs dabei. Den Mädels und ihren Familien eine Perspektive zu geben und ihre Dankbarkeit zu spüren hat bei mir damals Gänsehaut hervorgerufen. Auch jetzt berührt mich diese Erinnerung immer noch total.