Nicht nur PROJECT-E, sondern auch viele andere Organisationen, Initiativen und Einzelpersonen in Addis Abeba haben sich zum Ziel gesetzt, junge Frauen aus armen und schwierigen Verhältnissen zu stärken und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu entfalten. Yarid, 39 Jahre alt, ist einer davon: Er vereinte vor drei Jahren seine Fußballleidenschaft mit dem Wunsch zur äthiopischen Gesellschaft beizutragen und gründete eine Frauenfußballmannschaft mit dem Ziel, die Frauen durch den Sport zu bestärken. Nachdem er einige Jahre beruflich in Dubai beschäftigt war, kehrte der junge Mann in sein Heimatland Äthiopien zurück und realisierte: Die Gesellschaft ist noch immer weit entfernt von Gleichberechtigung und viele Frauen leben von Männern unterdrückt und ohne jegliches Selbstvertrauen. Yarid selbst ist mit Sport groß geworden und hat die körperliche Aktivität und gerade die Erfahrungen im Teamsport als sehr bestärkend in Erinnerung – das und der Wunsch besonders den in der Gesellschaft benachteiligten Frauen dabei zu helfen persönlich zu reifen, brachte ihn schließlich zu einer ganz neuen Idee: Die Gründung einer Frauenfußballmannschaft.
Um ein Team aufzustellen, besuchte Yarid Schulen, warb unter den Teenagern für seine Idee und suchte talentierte Spielerinnen. Er startete sein Projekt von Null an. Fast alle Familien der zukünftigen Spielerinnen musste Yarid zu Beginn persönlich besuchen, Überzeugungsarbeit leisten und immer wieder berichten: von den positiven Aspekten des Sports und seinem Wunsch, den Frauen nicht nur Technik und Ballkontrolle beizubringen, sondern auch lebenspraktische Fähigkeiten zu vermitteln und sie so persönlich zu bestärken. Schließlich konnte er 35 Spielerinnen im Alter von etwa 13 Jahren gewinnen und begann mit ihnen dreimal in der Woche zu trainieren. Heute sind noch 22 Frauen übrig geblieben, die mittlerweile ein eingeschworenes Team sind und an sechs Trainingsstunden pro Woche teilnehmen.
Das Team erhält sich fast ohne Unterstützung – entsprechend sind die Trainingsbedingungen und Möglichkeiten äußerst begrenzt. Bis in großzügiger Weise eine Schule in Addis ihr Fußballfeld als Trainingsort zur Verfügung stellte, trainierte das Team auf einem offenen Gelände in einem Wald. Schwere Regengüsse in der Winterzeit hatten matschigen Boden zur Folge, zusätzlich erschwerten umständliche und unsichere Wege zum und vom Trainingsort den Trainingserfolg. Etwa zwei- bis dreimal im Jahr bittet Yarid die Familien um einen kleinen Beitrag, beispielsweise zum Kauf von einem neuen Ball. 10 Birr (etwa 30 Cent) sind alles, was der ehrenamtliche Trainer von seinen Spielerinnen erbitten kann. Weitere Ausgaben – etwa für Trainingskleidung und -equipment und die Kosten für den Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Training zahlt der Coach für die jungen Frauen aus eigener Tasche.
Der neue Trainingsort ist bereits eine große Verbesserung und doch sind die Trainingsbedingungen bei Weitem noch nicht perfekt. „Wir müssen mit vielen Herausforderungen umgehen. Wären die nicht, könnte das Training viel effektiver sein.“, sagt Yarid. „Der Boden auf dem Feld der Schule ist betoniert, hartes Training ist so nicht möglich.“ Außerdem sind die Trainerfähigkeiten der beiden Coaches, Yarid und Dagafe, begrenzt. Dagafe zeigt stolz seine Aufzeichnungen für die heutige Trainingseinheit: „Ich mache immer einen Plan!“ Der enthält: Aufwärmen, Übungen, Technik- und Taktiktraining und am Ende eine ‚Abschlussrunde‘.” Beide ehrenamtlichen Trainer bildeten sich in Fortbildungen weiter, aber beide sagen: „Wir sind zwar hoch motiviert, aber keine ausgebildeten Trainer. Bald werden wir jemanden mit mehr Wissen brauchen, um das Team weiterzubringen.“ Selbstverständlich wäre das allerbeste, eine Trainerin zu finden, die das weiterlebt, was von Anfang an Yarids Ziel war: Durch das Fußballspielen die Frauen vor schlechten Gewohnheiten zu bewahren und sie zu unterstützen, persönlich zu wachsen, indem sie die Erfahrung machen, Teil eines Teams zu sein. Deswegen enthält auch jede Trainingseinheit am Ende eine ‚Runde‘ zu lebenspraktischen Themen – gesprochen wird zum Beispiel über Disziplin, Gesundheit, gutes Verhalten und
Respekt. Des Weiteren möchte Yarid, dass sein Team ein Team ist, in dem jedes Mitglied für das andere da ist und sich die Frauen untereinander unterstützen und aushelfen. Diese Erfahrung scheint dem stolzen Gründer und Trainer fast das wichtigste: Es geht um mehr als Sport, es geht um das Lernen fürs Leben!
„Meine Freunde sind das Team“, sagt die Stürmerin Betele. „Ich genieße jedes Training und ich habe bereits so viel über Fußballregeln gelernt. Und, mich zu verteidigen – auch im Allgemeinen, nicht nur mit dem Ball!“, lacht sie.
Natürlich schreit der taffe Trainingsplan nach Spielen und Turnieren. Die sind allerdings rar – in Äthiopien generell und im Bereich des Frauenfußballs erst recht. Etwa alle zwei Monate ein Spiel, oft gegen eine Männermannschaft, das ist die Bilanz bisher. Natürlich wäre es sehr viel motivierender regelmäßig an Turnieren teilzunehmen und so im Austausch mit anderen (Frauen-)Mannschaften zu stehen, doch die Anzahl an Teams und potentieller Austragungsorte ist einfach (noch) nicht gegeben. „Das ist mit ein Grund, warum wir unsere Mannschaft ‚Hope of TOmorrow‘ nennen: Der Name selbst übt eine Art Druck auf jede Spielerin aus, niemals die Hoffnung für die Zukunft aufzugeben.“, erklärt Yarid. Und Torhüterin Meklit fügt hinzu: „Ich liebe Fußball, ich liebe die Mannschaft und ich habe bereits so viel mit ihnen gelernt. Warum sollte ich aufhören zu hoffen, dass wir eines Tages weiter gehen können?“
von Katrin Lohse